Stell dir einen ganz normalen Tag unter der Woche vor.
Der Wecker klingelt und dein erster Gedanke ist: „Oh nee, nicht schon wieder… Ich hasse dieses Klingeln, und ich möchte weiterschlafen.“ Am liebsten würdest du noch ein bisschen länger liegen bleiben, vielleicht nur 30 Minuten, doch das geht nicht – die Kinder müssen zur Schule, und du und dein Mann zur Arbeit.
Der Tag beginnt schon mit Stress und Hektik: Frühstück machen, Brotdosen vorbereiten, alles muss schnell gehen. Die Kinder wollen, wie jeden Morgen, nicht aufstehen, und nach der dritten Aufforderung hörst du wieder: „Ja, nur noch eine Minute, ich bin noch müde.“ Irgendwann haben sie es doch geschafft, gegessen, und in letzter Minute seid ihr pünktlich zur Schule gekommen.
Nachdem du die Kinder abgeliefert hast, eilst du zur Arbeit. Um 9 Uhr steht bereits die erste Besprechung an, und du musst dich noch darauf vorbereiten – doch die Zeit wird immer knapper. Der Tag im Büro vergeht wie im Flug, und du hast das Gefühl, dass dir die Zeit fehlt, um all die Aufgaben zu erledigen, die sich auf deinem Schreibtisch türmen. Zu viele Meetings, zu viele E-Mails, die bearbeitet werden müssen, und dann bleibt kaum noch Zeit für deine eigentliche Arbeit. Mittagessen mit Kollegen? Keine Chance, denn du musst ja schon um 14:30 Uhr los, um die Kinder abzuholen und sie zum Fußballtraining und zum Klavierunterricht zu fahren. Zu spät kommen darfst du natürlich nicht.
Während die Kinder beim Fußball und Klavierunterricht sind, gehst du schnell einkaufen, damit ihr abends etwas zu essen habt. Zuhause angekommen, kochst du schnell Abendessen – wieder muss es zügig gehen, damit ihr nicht zu spät esst, denn die Hausaufgaben warten noch, ebenso wie deine Arbeit. Nach dem Essen erfährst du, dass dein Sohn morgen eine Klassenarbeit hat und noch lernen muss. Er ist jedoch müde und hat keine Lust dazu. Als pflichtbewusste Mutter setzt du alles in Bewegung, um ihm zu helfen, doch es kostet dich unheimlich viel Energie, und dein Sohn wirft dir trotzdem vor, eine schlechte Mutter zu sein.
Irgendwann kommt dein Mann von der Arbeit nach Hause, aber du hast keine Zeit, ihm richtig „Hallo“ zu sagen – du musst ja deinen Sohn für die Klassenarbeit vorbereiten. Irgendwann bist du damit fertig, die Kinder gehen ins Bett, und du schnappst dir dein Arbeitshandy, um E-Mails zu checken. Vielleicht musst du noch schnell etwas erledigen, das auf keinen Fall bis morgen warten kann. Und wenn du endlich fertig bist und dich entspannen könntest oder dich mit deinem Mann unterhalten möchtest, hast du einfach keine Energie mehr. Du bist müde, alles reizt dich, und wenn dein Mann dich etwas fragt, reagierst du über. Egal, was er sagt, es nervt dich eher, als dass es dir gut tut.
Du fühlst dich hin- und hergerissen: Einerseits sehnst du dich nach seiner Nähe, nach tiefen Gesprächen oder einfach nach einem Plausch, nach Kuschelzeit auf dem Sofa, nach dem, wie es früher einmal war. Doch du bist einfach zu müde, zu ausgelaugt, um dich der Beziehung zu widmen. Du merkst jeden Tag ein bisschen mehr, dass nicht nur dein Mann unter deiner Nervosität leidet, sondern auch die Kinder. Es kostet dich unheimlich viel Energie, ruhig zu reagieren, wenn die Kinder etwas nicht wollen oder nicht schnell genug sind. Immer öfter kannst du dich nicht zurückhalten und schreist sie an. Du versuchst, alles unter Kontrolle zu halten, doch diese Kontrolle entgleitet dir immer mehr.
Mit dieser Geschichte können sich viele Mütter und einige Väter gut identifizieren. Die Tage sind oft so durchgetaktet, dass man das Gefühl hat, sich in einem Hamsterrad zu befinden, aus dem man nicht herausfindet. Und alles scheint super wichtig: der Job – auch wenn daraus keine Karriere geworden ist und man nur Teilzeit arbeiten kann – die Kinder, für die man alles tun möchte, damit aus ihnen „gute Menschen“ mit guten Karrieremöglichkeiten werden, der Haushalt und die Beziehung zum Partner. Die Beziehung zum Partner habe ich bewusst an die letzte Stelle gesetzt, denn so sieht es oft im Alltag aus, auch wenn die eigene Theorie eine ganz andere sein mag.
Arbeiten muss man ja, um sich wertvoll und nützlich zu fühlen, oft auch aus finanziellen Gründen, um der Familie ein gutes Leben bieten zu können. Im Job ist man „gefangen“: Man muss pünktlich anfangen, später als vereinbart gehen, beweisen, dass man ein guter Mitarbeiter ist, und dann gibt es noch die 24/7-Verfügbarkeit und die Erwartung, ständig E-Mails zu checken und sofort darauf zu reagieren. Dieser äußere und innere Druck raubt enorm viel Energie. Sicherlich hat man Glück, wenn die Arbeit, die man macht, Spaß macht und Erfüllung bringt, doch das ist leider selten der Fall.
Dann kommen die Kinder. Für die Kinder trägt man als Eltern die Verantwortung: Sie sollen gute Schüler sein, gute Noten schreiben und am besten mehrere Hobbys haben – Sport, Musik, Kunst… und dabei perfekte, ruhige und gehorsame Kinder sein. Dieses schöne Bild ist schwer zu erreichen, vor allem, wenn die Kinder ganz andere Vorstellungen haben. Man bleibt oft an diesem idealen Bild hängen und versucht, Berge zu versetzen, um es zu erreichen. Auch das kostet unheimlich viel Energie. Man fühlt sich frustriert und hilflos, möchte das aber nicht zugeben. Das führt dazu, dass man ständig Mama- oder Papa-Taxi spielt, die Lehrerrolle übernimmt, um die Kinder in der Schule gut zu unterstützen, und wenn es zu Widerstand kommt, kämpft man buchstäblich gegen Windmühlen. Das laugt aus. Müdigkeit, Erschöpfung, Reizbarkeit und Nervosität werden zu ständigen Begleitern.
Und dann, als Letzter in der Reihe, kommt der Partner. Oft denkt man, der Partner bleibt einfach da, hält die Nervosität und schlechte Laune für immer und ewig aus. Man hat das Gefühl, sich bei ihm nicht zurückhalten zu müssen – in anderen Rollen, als Elternteil oder Mitarbeiter, geht das ja nicht so einfach. Natürlich denkt man, dass man seine Meinung offen sagen kann, wenn die Ansichten über ein Thema – zum Beispiel die Erziehung – unterschiedlich sind. Doch wenn der Partner an letzter Stelle steht, greift man oft zu Kritik, anstatt ein konstruktives Gespräch zu führen. Man hat das Gefühl, diese stressige Phase ist vorübergehend und dass man irgendwann wieder zur Normalität zurückfindet. Doch die Zeit vergeht, und der Stress wird zum Dauerzustand. Irgendwann vergisst man, wie es war, als man noch ein Liebespaar war – die Berührungen, die Gespräche, die Intimität. Die Liebe ist unter permanentem Stress begraben, und es kann so weit kommen, dass man Angst vor Begegnungen hat, weil Gespräche zu Konflikten eskalieren und man das Gefühl hat, unterschiedliche Sprachen zu sprechen.
In einem Zustand der chronischen Überforderung ist es schwer, die Kraft zu finden, sich um die Beziehung zu kümmern. Man hat einfach keine Kapazitäten mehr. Es fällt schwer, liebevolle Gespräche zu führen oder kleine Aufmerksamkeiten zu schenken. Die gemeinsamen Gesprächsthemen reduzieren sich auf Kinder, Schule, Haushalt. Die Berührungen werden seltener, was verständlich ist: Man möchte dem anderen nahe sein, wenn man sich gut versteht. Bei Spannungen nimmt auch die Lust auf Intimität ab.
Was kann man also tun, um nicht in diesen Strudel zu geraten und als Paar und Eltern präsent zu bleiben?
Zuerst ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass jede Beziehung gepflegt werden muss, um lebendig zu bleiben. Es ist wie bei einer Pflanze: Wenn man sie nicht gießt, geht sie ein und stirbt. Es gibt mehrere Wege, wie man sich um die Beziehung kümmern kann. Einige Beispiele: Regelmäßige Zeit als Paar nehmen, ohne Kinder. Es mag schwierig sein, das zu organisieren, aber es ist nicht unmöglich. Täglich Zeit füreinander nehmen, um miteinander zu sprechen – so, dass der andere das Gefühl hat, gehört zu werden. Gespräche, bei denen man nicht unterbrochen wird, bei denen echtes Interesse da ist. Es tut der Beziehung gut, regelmäßig Wertschätzung auszudrücken und Anerkennung zu zeigen, was gut gelaufen ist. Es hilft, die schönen Momente bewusst wahrzunehmen und sich regelmäßig daran zu erinnern. Auch die Aufteilung von Alltagsaufgaben und das Sprechen über die eigene Belastung helfen dabei, gemeinsam Lösungen zu finden. Es tut der Beziehung gut, in guten wie in schlechten Zeiten füreinander da zu sein.
Wenn man sich plötzlich im Hamsterrad wiederfindet, lohnt es sich, Zeit zu nehmen und darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist. Was sind die Prioritäten? Wo kann man etwas ändern, um die Belastung zu reduzieren? Hilfreiche Fragen können sein: Was ist mir wichtiger – Job oder Familie? Was ist mir wichtiger für mein Kind: gute Noten, viele Hobbys oder eine gute Beziehung und starke Bindung? Wie wichtig ist mir meine Partnerschaft, und was kann ich tun, um sie zu stärken?
Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Selbstfürsorge. Das bedeutet konkret, sich Zeit für das eigene Wohlbefinden und die eigene Entwicklung zu nehmen. Dadurch fühlt man sich entspannter, wird im Alltag weniger reizbar, fühlt sich entlastet und hat das Gefühl, ein interessanter Mensch zu sein, da man eigenen Interessen nachgeht oder neue entdeckt. So entstehen auch neue Gesprächsthemen mit dem Partner. Außerdem ist es ein gutes Beispiel für die Kinder, denn Kinder lernen durch unser tägliches Handeln, nicht nur durch das, was sie von uns hören. Ich hoffe, ihr könnt aus diesen Anregungen etwas für euch mitnehmen oder auch eigene Ideen entwickeln.
Wie geht ihr mit der Situation um? Wie schafft ihr den Spagat zwischen Liebe, Kindern und Arbeit, um die Balance zu halten?
Teilt gerne eure Erfahrungen in den Kommentaren, damit wir voneinander lernen und uns inspirieren können.